Frankreich unter Beschuss

Von Alex Krainer Url

Die Bürger kämpfen in den Straßen Frankreichs, doch der Krieg findet zwischen Frankreich und dem anglo-amerikanischen Empire statt. Url

Die Regierung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron wird vom anglo-amerikanischen imperialen Establishment angegriffen. Die Unruhen, die im ganzen Land ausgebrochen sind, wurden durch die Tötung des 17-jährigen Nahel Merzouk durch die Polizei am 27. Juni 2023 im Pariser Vorort Nanterre ausgelöst. Nahel war ohne Führerschein mit dem Auto unterwegs, kam den Anweisungen der Polizei nicht nach und wurde deshalb von zwei Polizisten in voller Montur aus nächster Nähe erschossen. Nahel war algerischer Herkunft. Am nächsten Tag brachen in vielen Städten Frankreichs Unruhen aus: Paris, Marseille, Lille, Lyon, Bordeaux, Grenoble und auch im belgischen Brüssel. Einige Schauplätze sahen aus wie Kriegsgebiete. Url

Randale in Frankreich

In der Tat ähnelten einige der Unruhen einem Kleinkrieg. Einigen Berichten zufolge gelangten US-Waffen, die der Ukraine gespendet worden waren, über den Schwarzmarkt auf die Straßen französischer Städte und in die Hände der Demonstranten, die sie bei koordinierten Angriffen auf Polizei und Feuerwehrleute einsetzten. Allein in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli wurden 41 Polizeistationen angegriffen, 79 Polizeibeamte verletzt, 2560 Brände in den Straßen gelegt, 1360 Autos und 234 Gebäude in Brand gesetzt. Die Regierung setzte 45.000 Polizisten und Gendarmen ein, um die Situation unter Kontrolle zu bringen, doch die Unruhen dauern nun schon seit fünf Tagen mit großer Intensität an und drohen, das Land zu destabilisieren. Url

Präsident Emmanuel Macron steht unter zunehmendem Druck, nicht nur von den Randalierern und der Opposition, sondern – was noch bedrohlicher ist – auch von seinen eigenen Polizeikräften und dem Militär. Die französischen Polizeigewerkschaften haben Macron in einem Schreiben mit einer Revolte gedroht: Url

“Heute befindet sich die Polizei im Kampf, als wären wir im Krieg. Morgen werden wir im Widerstand sein und die Regierung sollte sich dessen bewusst sein.” Url

Bestimmte Militärkreise scheinen bereit zu sein, sich gegen Macron zu wenden. General Pierre Villiers, der unter den französischen Militärkommandeuren offenbar hohes Ansehen genießt, sagte, dass die Armee dem Volk und nicht Emmanuel Macron gegenüber loyal sein sollte. Url

Nichts ist, wie es scheint…

Bis jetzt scheinen die Geschehnisse auf der Ebene der einander gegenüberstehenden Akteure in den Straßen der französischen Städte leicht zu verstehen: Die missbräuchliche Regierung von Präsident Macron und ihr Sicherheitsapparat werden von der Bevölkerung angegriffen, deren berechtigte Beschwerden den Siedepunkt überschritten haben. Von daher lässt sich leicht annehmen, dass Macrons Regierung die Unruhen sogar absichtlich angezettelt hat, um hart durchzugreifen und das Volk nach ihren Plänen zu tyrannisieren. Schließlich ist Macron der Laufbursche der Rothschilds und ein loyaler “Young Leader” des Weltwirtschaftsforums. Url

Entweder Ihr seid für uns oder Ihr seid gegen uns

All das klingt plausibel, aber es gibt einen weitaus größeren Kontext für diese Geschichte. Die gegenwärtige Krise hat ihre Wurzeln in der sehr angespannten Beziehung zwischen den französischen Führungseliten und dem anglo-amerikanischen imperialen Establishment, die sich über Jahrhunderte erstreckt. Eine gründlichere Analyse dieses Verhältnisses könnte viele Bücher füllen, doch konzentrieren wir uns vorerst auf die jüngsten Entwicklungen. Unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA verkündete Präsident George W. Bush der Welt: “Entweder Ihr seid für uns oder Ihr seid gegen uns.” Das Imperium bereitete sich darauf vor, die unipolare Weltordnung zu zementieren, seine Rivalen auszuschalten, eine umfassende Vorherrschaft zu errichten und sein Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert zu starten. Url

Frankreich hat nie die Rolle eines Juniorpartners oder eines bedingungslosen Verbündeten, geschweige denn eines Vasallen des anglo-amerikanischen Imperiums akzeptiert. In kritischen Momenten ist es dem Imperium stets ein Dorn im Auge gewesen. Hier einige Beispiele für die Auseinandersetzungen der letzten zwei Jahrzehnte zwischen den beiden Seiten: Url

2003: Französischer Widerstand gegen die US-Invasion im Irak

Ende 2002 und Anfang 2003 arbeitete die Regierung von George W. Bush fieberhaft daran, die Unterstützung ihrer Verbündeten für eine Invasion des Irak zu gewinnen. Im Februar 2002 schwenkte US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat ein Fläschchen mit weißem Pulver und beschuldigte den irakischen Präsidenten Saddam Hussein, über biologische Massenvernichtungswaffen zu verfügen. Der französische Außenminister Dominique de Villepin war davon nicht beeindruckt. In einer scharfen Rede wies er die Argumente der USA für einen Krieg zurück und bezeichnete Powells Auftritt als zweifelhaft und nicht überzeugend. Einige Wochen später, am 10. März 2003, stellte Präsident Jacques Chirac klar, dass Frankreich gegen jede UN-Resolution stimmen würde, die einen US-Angriff auf den Irak genehmigen würde. Damit würde Frankreich an der Seite Russlands und Chinas stimmen (das warf einen Schatten voraus). Url

2008: Frankreich lehnt den NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens ab

Eines der wichtigsten Projekte des anglo-amerikanischen Imperiums in den letzten drei Jahrzehnten war die Einkreisung Russlands durch die Aufnahme aller seiner westlichen und südwestlichen Nachbarn in das NATO-Bündnis. In mehreren Erweiterungswellen nach Osten nahm die NATO 14 neue Mitgliedstaaten auf und rückte mehr als 1.600 km an Russland heran. Die Ukraine und Georgien waren die nächsten: Auf dem NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest verkündete das Bündnis das Bukarester Memorandum. Unter Bezugnahme auf die Ukraine und Georgien erklärten sie ausdrücklich: “Wir sind heute übereingekommen, dass diese Länder Mitglieder der NATO werden”. Frankreich, das noch kein vollwertiges Mitglied des integrierten Kommandos der Allianz ist, sprach sich offen gegen die Resolution aus, weil sie die Gefahr eines Krieges mit Russland erhöhen würde. Url

2019: Emmanuel Macron nennt die NATO ein “hirntotes” Bündnis

In einem Interview mit dem Economist im Oktober 2019 mit dem Titel “Emmanuel Macron warnt Europa: NATO ist bald hirntot” warnte der französische Präsident die europäischen Länder, dass sie sich nicht mehr auf das von den USA dominierte Militärbündnis verlassen können (man beachte, dass Frankreich inzwischen ein vollwertiges NATO-Mitglied ist): “Was wir derzeit erleben, ist der Hirntod der NATO” und erklärte, dass Europa “aufwachen” müsse, da es “am Rande eines Abgrunds” stehe und anfangen müsse, sich selbst als strategische geopolitische Macht zu betrachten, da wir als Europäer sonst “nicht mehr die Kontrolle über unser Schicksal haben”. Schlimmer noch: Auf die Frage, ob er an die Wirksamkeit von Artikel fünf glaube, der vorsieht, dass im Falle eines Angriffs auf ein NATO-Mitglied alle zur Verteidigung mobilisiert würden, gab Macron eine verworrene, kryptische Antwort: “Ich weiß nicht, … was wird Artikel Fünf morgen bedeuten?” Url

Aber Präsident Macron und seine Regierung würden mit der Eskalation des Konflikts in der Ukraine für die anglo-amerikanische Kabale noch problematischer werden. Von allen europäischen Staats- und Regierungschefs hat Macron die meiste Zeit damit verbracht, seinen russischen Amtskollegen zu besuchen oder mit ihm zu telefonieren; er bemühte sich, die Beziehungen zwischen Russland und Frankreich zu verbessern, und er versuchte, andere europäische Nationen zu beeinflussen, damit sie eine unabhängigere Politik auf dem Kontinent verfolgen. Url

2022: Macron sagt, Russland habe berechtigte Sicherheitsbedenken

In einem Interview, das am Samstag, den 3. Dez. 2022 veröffentlicht wurde, forderte Macron den Westen auf, die Sicherheitsbedenken Russlands bezüglich der NATO-Erweiterung entlang der russischen Grenze ernst zu nehmen. Er forderte eine größere Bereitschaft, Moskau die “Garantien” zu geben, die für den Erfolg der Verhandlungen notwendig sind. Er bezeichnete sie als “wesentlich”, wenn der Westen ernsthaft Gespräche und eine friedliche Lösung anstrebe. “Wir müssen uns darauf vorbereiten, was wir zu tun bereit sind, wie wir unsere Verbündeten und Mitgliedsstaaten schützen und wie wir Russland Garantien geben können, wenn es an den Verhandlungstisch zurückkehrt.” Macron fügte hinzu: “Einer der wesentlichen Punkte, die wir ansprechen müssen – wie Präsident Putin immer gesagt hat – ist die Angst, dass die NATO bis an seine Grenzen kommt, und die Stationierung von Waffen, die Russland bedrohen könnten.” Diese Äußerungen riefen bei den anglo-amerikanischen Verbündeten und den westlichen Medien Wut und Unverständnis hervor und sie beschuldigten den französischen Präsidenten, ein Handlanger des Kremls zu sein. Url

April 2023: Macron besucht China und flirtet mit BRICS-Staaten

Emmanuel Macron hat mit seinem dreitägigen, viel beachteten Besuch in China vom 6. bis 8. April 2023 noch mehr Empörung und Unglauben ausgelöst. Westliche “nationale Sicherheitsexperten” waren über diesen Besuch so alarmiert, dass sie ihn als “einen der größten Fehler einer europäischen Großmacht seit dem Ende des Kalten Krieges” bezeichneten… In der Tat war es eine Ohrfeige für das anglo-amerikanische Establishment. Url

Am 7. April 2023 besuchte Präsident Macron die Sun-Yat-Sen-Universität in der südchinesischen Provinz Guangdong, wo er begeistert empfangen wurde. Er hielt eine Rede über die Beziehungen zwischen China und Frankreich und stellte sich den Fragen der Studenten. Die Wahl des Veranstaltungsortes durch seine Gastgeber könnte eine subtile Botschaft enthalten haben. Sun Yat-Sen war ein lautstarker Kritiker des britischen Imperialsystems und seiner Außenpolitik. In seinem Buch “The Vital Problem of China” schrieb Sun Yat-Sen: Url

“Wenn England sich mit einem anderen Land anfreundet, dann nicht, um eine herzliche Freundschaft um der Freundschaft willen aufrechtzuerhalten, sondern um dieses Land als Werkzeug zur Bekämpfung eines dritten Landes zu benutzen. Wenn ein Feind seiner Macht beraubt ist, wird er zum Freund, und der stark gewordene Freund zum Feind. England bleibt immer in einer beherrschenden Position; es lässt andere Länder seine Kriege führen und erntet selbst die Früchte des Sieges. Das tut es schon seit Jahrhunderten.” Url

Wir sollten nicht Amerikas Vasallen sein

Auf dem Rückflug von Peking sagte Macron vor Journalisten, dass “Europa dem Druck widerstehen muss, Amerikas Gefolgschaft zu werden…”, dass das “große Risiko”, dem sich Europa gegenübersieht, darin besteht, “in Krisen verwickelt zu werden, die nicht unsere sind, was es daran hindert, seine eigene Autonomie aufzubauen”, und dass “Europa seine Abhängigkeit von den USA in Bezug auf Waffen und Energie erhöht hat und sich darauf konzentrieren muss, seine Verteidigungsindustrie zu stärken”. In Bezug auf die Ukraine sagte Macron, sie sei “ein fernes Land, von dem wir nichts wissen…”. Aber selbst das war nicht so unverzeihlich wie sein Seitenhieb auf die “Extraterritorialität des US-Dollars”. Url

Während seines Aufenthalts in China unterzeichnete Macron zahlreiche Abkommen zur Ausweitung des bilateralen Handels zwischen Frankreich und China, von denen viele in chinesischer Währung (Yuan) abgewickelt werden. Bereits vor Macrons Besuch begannen französische Unternehmen im März 2023 mit solchen Geschäften, von denen das erste der Kauf von 65.000 Tonnen Flüssigerdgas war, das in Yuan abgerechnet wurde. Die Bereitschaft der französischen Führung, ihre eigenen bilateralen Beziehungen mit dem Hauptrivalen des anglo-amerikanischen Imperiums zu gestalten und den US-Dollar zu umgehen, ist einfach unverzeihlich. Doch Macron würde bald noch weiter gehen: Laut der Zeitung L’Opinion hat der französische Präsident seinen südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa während eines Telefongesprächs im letzten Monat gebeten, ihn zur Teilnahme am 15. BRICS-Gipfel einzuladen, der Ende Juli/Anfang August in Südafrika stattfinden soll. Url

Es geht um beide Regierungssysteme…

Es ist wichtig, sich den umfassenderen Kontext des aktuellen globalen Konflikts vor Augen zu führen. Wie George Soros in seiner jährlichen Rede vor dem Weltwirtschaftsforum im Mai 2021 darlegte, handelt es sich um den Konflikt zwischen den beiden Regierungssystemen. Soros bezeichnete sie fälschlicherweise als “offene Gesellschaften” und “geschlossene Gesellschaften”. In Wirklichkeit erleben wir den Konflikt zwischen dem westlichen imperialen Kolonialsystem und so ziemlich dem gesamten Rest der Menschheit. Url

Das imperiale Regierungssystem wird von der westlichen okkulten Oligarchie kontrolliert, die zwar Lippenbekenntnisse zu Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie und Menschenrechten abgibt, in Wirklichkeit aber ständig Chaos im Ausland und Elend im eigenen Land sät. Die Wahrheit ist, dass auch die französischen Herrschaftseliten jahrhundertelang die massiven Privilegien dieses Systems genossen haben. Sie haben sich jedoch nie dem angloamerikanischen Establishment unterworfen und waren stets bestrebt, ihre Kolonien zu ihren eigenen Bedingungen zu plündern und auszubeuten. Url

Die Ukraine ist für Dich ein weit entfernter Ort?

Wir wissen noch nicht, ob Frankreich tatsächlich zum bevorstehenden BRICS-Gipfel eingeladen wird, aber in einer Welt, in der “nicht für uns” gleichbedeutend mit “gegen uns” ist, kann das Imperium die hochnäsige Unabhängigkeit Frankreichs einfach nicht tolerieren. Du denkst, unser Militärbündnis ist hirntot? Du willst nicht unser Vasall sein? Du wagst es, Handelsverträge mit China abzuschließen und in Yuan zu handeln? Du willst den Frieden mit Russland suchen? Und die Ukraine ist für Dich ein weit entfernter Ort? Das ist eindeutig inakzeptabel und das anglo-amerikanische Establishment hat genug von Frankreichs Ungehorsam. Es war an der Zeit, Frankreich eine Lektion zu erteilen und es mit der anglo-amerikanischen Agenda in Einklang zu bringen. Url

AUKUS-Allianz: Ein Dolchstoß in den Rücken Frankreichs

Das jüngste Zeichen der Verachtung der anglo-amerikanischen Kabale für Frankreich war die Ankündigung der AUKUS-Allianz zwischen den USA, Großbritannien und Australien im Jahr 2021. Im Jahr 2016 schloss Frankreich mit Australien einen Vertrag über die Lieferung von 12 konventionellen U-Booten für die australische Marine. Das Geschäft hatte einen Wert von 37 Milliarden Dollar – in jeder Hinsicht ein sehr hoher Betrag. Die französische Diplomatie feierte ihn als “Vertrag des Jahrhunderts”, der nicht nur wegen seiner schieren Größe und der Festigung der Beziehungen zwischen Frankreich und Australien, sondern auch im Hinblick auf die Sicherung des französischen strategischen Einflusses in der indopazifischen Region von Bedeutung war. Url

Doch am Mittwoch, den 15. September 2021, verkündeten US-Präsident Joe Biden, der britische Premierminister Boris Johnson und “der Typ aus Down Under”, wie Biden den damaligen australischen Premierminister Scott Morrison nannte, ein “historisches” Sicherheitsbündnis zwischen den USA, Großbritannien und Australien. Teil der Vereinbarung war, dass die USA und das Vereinigte Königreich Australien Atom-U-Boote und einen umfangreichen Transfer von US-Militärtechnologie zur Verfügung stellen. Url

Ohne vorherige Konsultationen oder Vorwarnung haben Großbritannien, Australien und die USA, die ansonsten dafür bekannt sind, dass sie großen Wert auf die Unantastbarkeit von Verträgen legen, Frankreich einfach übergangen, den Vertrag mit Australien gekündigt und die französischen Interessen über Bord geworfen, was in Frankreich Empörung und Verärgerung hervorrief. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bezeichnete die AUKUS-Ankündigung als Beweis für Doppelzüngigkeit, Verrat und einen Dolchstoß in den Rücken Frankreichs durch seine angeblichen Verbündeten und Partner. Url

Frankreich rief seine Botschafter in den Vereinigten Staaten und Australien zurück und Le Drian erklärte, es gebe nun eine Vertrauenskrise mit den USA. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel kritisierte die AUKUS-Ankündigung scharf und warf dem anglo-amerikanischen Club vor, Europa “im indopazifischen Raum aus dem Spiel zu lassen”. Dies war nicht die erste massive Demütigung, die Frankreich von denselben “befreundeten” anglo-amerikanischen Kreisen zugefügt wurde. Url

Haitis Reparationen: Wie die USA Frankreichs Widerstand gegen die Irak-Invasion bestraften

Der amerikanischen Diplomatie und den Geheimdiensten fiel es leicht, Frankreichs Widerstand gegen die Irak-Invasion und die Blamage zu bestrafen, die Frankreichs Außenminister Dominic de Villepin der US-Delegation im UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 zufügte. Url

Jean Bertrand Aristide wurde 1991 zum ersten Mal Präsident von Haiti, wurde jedoch nach weniger als acht Monaten Amtszeit durch einen Militärputsch abgesetzt. Er verbrachte Jahre im Exil in den USA, bevor er bei den Wahlen im Jahr 2000 mit Hilfe der USA wieder an die Macht kam. Sein US-Verbindungsmann war der Diplomat und CIA-Agent Luis Moreno. Am 7. April 2003 begann Aristide plötzlich, von Frankreich Reparationen aus der Kolonialzeit zu fordern (wohlgemerkt 18 Tage nach Beginn der US-Invasion im Irak). Der genaue Betrag, den Aristide forderte, belief sich auf 21.685.135.571,48 US-Dollar – diese Summe stellte die untere Grenze der geschätzten Schäden dar, die Haiti von Frankreich zugefügt worden waren. Url

Das früher als Saint Domingue bekannte Haiti war eine französische Kolonie, die Zucker, Kaffee und Tabak nach ganz Europa lieferte. Es war ein Segen für französische Händler, Sklavenhalter und Finanziers. Doch 1791 führten die Sklaven Haitis einen erfolgreichen Aufstand durch und erlangten ihre Freiheit. Als Napoleon 1801 eine große Armada schickte, um die Sklaven erneut zu unterjochen, besiegten sie seine Truppen, und 1804 erklärten die haitianischen Führer ihre Unabhängigkeit. Url

Doch Frankreich war nicht bereit, Haiti aufzugeben. König Karl X. schickte 1825 eine weitere Armada und bot an, die Unabhängigkeit Haitis anzuerkennen, sofern die haitianische Regierung sich bereit erklärte, einen erpresserischen Tribut in Höhe von 150 Millionen Goldfranken zu zahlen. Um wie viel Geld handelte es sich dabei? 1803 erklärte sich Frankreich bereit, das Gebiet von Louisiana für 80 Millionen Francs an die Vereinigten Staaten zu verkaufen – ein Gebiet, das 77 Mal größer war als Haiti. Haiti hatte eine einfache Wahl: Zahlen oder es gibt Krieg! Url

Die Franzosen wären in der Lage gewesen, eine Seeblockade gegen Haiti zu verhängen und das Land vollständig vom Welthandel und den Zahlungssystemen auszuschließen. Die Haitianer hatten keine andere Wahl, als sich dem französischen Ultimatum zu fügen. Um das Lösegeld zu bezahlen, war Haiti gezwungen, sich die Summen bei französischen Bankiers zu leihen und die Kredite zuzüglich Zinsen aus den Erlösen seiner Rohstoffexporte zurückzuzahlen. Dies war übrigens der Beginn des neuen Kolonialismusmodells, das auf finanziellen Schulden und nicht auf militärischer Besatzung beruhte. Dies ist im Wesentlichen das imperiale Herrschaftsmodell, das die Menschheit bis zum heutigen Tag plagt. Url

Die tragische Erfahrung Haitis war das einzige Mal in der Geschichte, dass freigelassene Sklaven ihren ehemaligen Herren eine Entschädigung zahlen und von ihnen Geld leihen mussten, um die Lösegeldzahlungen zu leisten. Aus diesem Grund wurde die Demütigung Haitis als doppelte Schuld (Double Debt) bezeichnet: Die Haitianer brauchten über 130 Jahre, um sie zurückzuzahlen, und das Land war zu chronischer Austerität, Unterentwicklung und erdrückender Armut verdammt. Url

Das machte auch Aristides Forderung nach Rückerstattung legitim und zu einem absoluten Paukenschlag für Frankreich. Seine Kampagne wurde mit der Zeit immer dreister: Transparente, Autoaufkleber, Regierungsanzeigen und Graffiti wurden im ganzen Land verbreitet. Aristide forderte von Frankreich nicht nur eine beträchtliche Summe an Reparationen, sondern ermutigte auch andere ehemalige Kolonien, sich seinem Kampf anzuschließen und ihre eigenen Reparationen von Frankreich zu fordern. Url

Die französische Regierung war fassungslos über diese Entwicklung, die ihr haitianischer Botschafter Yves Gaudeul als explosiv bezeichnete. Er drängte seine Regierung, Gespräche mit Haiti aufzunehmen, um die Situation zu entschärfen, wurde aber entschieden zurückgewiesen. Stattdessen rief Frankreich Gaudeul zurück und schickte mit Thierry Burkard einen weniger wohlwollenden Botschafter nach Haiti, der die Situation in aller Deutlichkeit erklärte: “Algerien kann durchaus Ansprüche geltend machen, wie auch die meisten unserer Kolonien… Das nimmt kein Ende. Es hätte einen Präzedenzfall geschaffen, für den wir in hohem Maße verantwortlich gemacht worden wären.” Url

Zu Frankreichs Glück verschwand das Problem so plötzlich, wie es entstanden war. Noch vor Sonnenaufgang am 29. Februar 2004 kam Luis Moreno, derselbe US-“Diplomat”, der Aristide im Jahr 2000 an die Macht gebracht hatte, in Begleitung von Sicherheitsbeamten zu Aristides Residenz und forderte seinen Rücktritt. Die Eheleute Aristide wurden einfach entführt und in einem von den USA gecharterten Flugzeug aus dem Land ins Exil geflogen. Der neue, vom Westen unterstützte Führer Haitis, Gerard Latortue, ließ die Rückgabeforderungen fallen, und die ganze chaotische Angelegenheit war erledigt. Url

Obwohl Jean Bertrand Aristide seit Anfang 2001 an der Macht war, kamen seine Forderungen nach Reparationen erst mehr als zwei Jahre später, scheinbar aus dem Nichts, jedoch kurz nach der Brüskierung Frankreichs gegenüber den USA wegen der Irak-Invasion. Aristide verlangte Reparationen von Frankreich, nicht aber von den Vereinigten Staaten, die das Land besetzt hatten, es seit 1915 in Schuldknechtschaft hielten und es ebenso räuberisch ausbeuteten. Url

Noch vor der militärischen Besetzung, im Dezember 1914, landeten US-Marines in Haitis Hauptstadt Port-Au-Prince, brachen in die haitianische Nationalbank ein und nahmen kurzerhand das der Regierung Haitis gehörende Gold im Wert von etwa 500.000 Dollar mit. Innerhalb weniger Tage befand sich das haitianische Gold in den Tresoren von New Yorker Banken. Dennoch hat Aristide offenbar keine genaue Berechnung des Schadens vorgenommen, der Haiti durch die Vereinigten Staaten zugefügt wurde. Url

In einem E-Mail-Austausch zwischen Aristides Rechtsberaterin Ira Kurzban und ihrem Berater für internationales Recht, Gunther Handl, riet letzterer Kurzban, dass “Haiti Frankreich mitteilen muss”, dass es geeignete Gelegenheiten gibt, “um Frankreichs schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit zu waschen”. Es scheint fast so, als ginge es in der Affäre eher darum, Frankreich unter Druck zu setzen und in Verlegenheit zu bringen, als Gerechtigkeit für Haiti zu erwirken. Url

Dieser Eindruck wird durch die einfache Tatsache bestätigt, dass Frankreichs Problem erst verschwand, nachdem US-Agenten Aristide entmachtet hatten, und nicht nach ernsthaften Verhandlungen mit den Vertretern Haitis und der Anerkennung einer gewissen Verpflichtung Frankreichs gegenüber Haiti. Allein diese Tatsache deutet darauf hin, dass Frankreich in einer Art Hinterzimmer-Deal den Vereinigten Staaten nachgegeben hat, nicht jedoch Haiti gegenüber. Vielleicht hat Frankreich seine Kampfansage an das Neue Amerikanische Jahrhundert und dessen umfassende Dominanz aufgegeben und sich dem Hegemon unterworfen. Url

Im Jahr 1966 zog Frankreich unter Präsident Charles de Gaulle alle seine Truppen aus dem integrierten Militärkommando der NATO ab und forderte alle nicht französischen NATO-Truppen auf, Frankreich zu verlassen. Nur wenige Jahre nach der Haiti-Affäre (und den destabilisierenden Unruhen von 2005) wurde Frankreich 2009 wieder ein vollwertiges Mitglied des Nordatlantikbündnisses. Aber nicht alle waren zufrieden und die Beziehungen zu Frankreich blieben schwierig. Url

Das Damoklesschwert der kolonialen Vergangenheit Frankreichs

Das Damoklesschwert der hässlichen kolonialen Vergangenheit Frankreichs (die allerdings nicht hässlicher ist als die Spaniens, Belgiens, Portugals, Großbritanniens oder Deutschlands) kam im November 2022 wieder zur Sprache, als die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im italienischen Kanal 7 auftrat und einige der besonders hässlichen kolonialen Schmutzwäsche Frankreichs präsentierte. Sie zeigte dem italienischen Publikum zwei Exponate: eine CFA-Franc-Banknote und das Foto eines Kindes, das in einer Goldmine in Burkina Faso arbeitet: “Das ist der CFA-Franc. Es ist die Kolonialwährung, die Frankreich für 14 afrikanische Länder druckt, auf die es eine Zwangsabgabe erhebt und mit deren Hilfe es die Ressourcen dieser Länder ausbeutet…” Url

Meloni behauptete, dass dank des CFA-Franc 50% aller Exporte von Burkina Faso in der französischen Staatskasse landen. Meloni ist nicht nur italienische Ministerpräsidentin, sondern auch Mitglied des mächtigen Aspen-Instituts. Das Institut mit Sitz in Washington D. C. wird von einigen der mächtigsten Vertreter des angloamerikanischen Establishments finanziert, darunter die Gates Foundation, die Ford Foundation, der Rockefeller Brothers Fund, die Carnegie Corporation und die Lumina Foundation; Meloni könnte auf deren Geheiß gegen Frankreich vorgehen. Url

In einem weiteren Versuch, Frankreich in Verlegenheit zu bringen, veröffentlichte die New York Times im Mai 2022 einen 19.000 Wörter langen Sonderbericht über den französischen Kolonialmissbrauch in Haiti. Unter dem Titel “The Ransom: How a French Bank Captured Haiti” (Das Lösegeld: Wie eine französische Bank Haiti eroberte) liest sich der Bericht fast so, als hätten die Franzosen die Sklaverei und den Kolonialismus erfunden. Url

Der angekündigte Angriff auf Frankreich

Das bizarrste Element, das darauf hindeutet, dass der derzeitige Aufstand in Frankreich ein geplanter Destabilisierungsangriff der anglo-amerikanischen imperialen Kabale ist, ist die Tatsache, dass er möglicherweise im Voraus angekündigt wurde, was offenbar ihr üblicher Modus Operandi ist. Letzten Monat hatte ich das Privileg, an der Better Way Conference in Bath teilzunehmen, die vom World Council for Health organisiert wurde. Einer der Redner auf dem Podium war Mark Devlin, ein DJ, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Nutzung von Populärkultur und Unterhaltung durch das herrschende Establishment zur Verbreitung von Propaganda und zur Manipulation der Massen zu untersuchen. Url

Er stellte unter anderem fest, dass sie ihre Pläne der Öffentlichkeit stets durch populäre Filme und Fernsehserien ankündigen. Devlin behauptete, es gebe buchstäblich Hunderte von Beispielen dafür und er zeigte uns eines davon: einen kurzen Clip aus der amerikanischen Fernsehserie “The Dead Zone”, die 2005 ausgestrahlt wurde. Die Handlung handelte von einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Das Virus stammte aus China und verursachte hohes Fieber und Atemwegsinfektionen, die Lockdowns, Quarantänen, das Tragen von Masken, Kontaktverfolgung usw. erforderlich machten. Url

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Der Clip war zutiefst verstörend, deutete aber darauf hin, dass Devlin einer wichtigen Sache auf der Spur war. Zufälligerweise bestätigen auch die Unruhen in Frankreich seine Hypothese. Im Jahr 2022 startete Netflix einen Film mit dem Titel “Athena” über einen zukünftigen ethnischen Bürgerkrieg in Frankreich, der nach der Tötung eines algerischen Jugendlichen durch die Polizei ausbrechen würde. Am 27. Juni 2023 tötete die französische Polizei einen algerischen Jugendlichen. Url

Gerechtigkeit für Nahel durch Angriffe auf chinesische Touristen?

Ein weiteres Detail der Unruhen könnte symbolische Bedeutung haben: Reuters berichtete, dass chinesische Touristen verletzt wurden, als Randalierer einen Bus mit einer chinesischen Reisegruppe in Marseille angriffen. Der Angriff, der am Donnerstag, den 29. Juni 2023 stattfand, offenbart erneut den Modus Operandi der Kabale. Zur Erinnerung: Als die USA und die NATO 1999 Belgrad bombardierten, trafen fünf von den USA gelenkte Bomben (Joint Direct Attack Munition) die chinesische Botschaft und töteten drei chinesische Journalisten der Staatsmedien. Eine Bombe mag sich verirrt haben und die Botschaft versehentlich getroffen haben, aber fünf Bomben waren eine Botschaft, ebenso wie (wahrscheinlich) der Angriff auf chinesische Touristen am vergangenen Donnerstag. Es wäre schwer zu erklären, warum die Randalierer, die sich über die französische Regierung ärgerten und Gerechtigkeit für den jungen Nahel Merzouk forderten, glaubten, diese Gerechtigkeit durch einen Angriff auf die Chinesen zu erhalten. Url

Was nun?

Sollten wir Emmanuel Macron und seine Regierung als die Guten in dieser Geschichte betrachten? Wird es ihnen gelingen, die Situation zu beruhigen, oder wird sie eskalieren? Ich für meinen Teil habe Emmanuel Macron nie auch nur ein bisschen gemocht, doch ich glaube, dass heute die Souveränität Frankreichs auf dem Spiel steht, und es war Macron, der den Zorn der anglo-amerikanischen Kabale auf sich gezogen hat. Wenn Frankreich sich wehrt, wird es hässlich werden. Ja, sie werden hart durchgreifen müssen, und ja, die westlichen Medien werden ihnen all die üblichen Fehler der Tyrannei, Unterdrückung, Intoleranz und Zensur vorwerfen. Url

Wenn Frankreich kapituliert, werden die Dinge noch hässlicher und noch länger hässlich sein. Aber um Frankreich zu verteidigen, wird die Regierung von Emmanuel Macron versuchen müssen, ganz Frankreich zu vereinen, und das könnte sich als ihre größte Herausforderung erweisen. Macron vertritt die französischen Eliten, die sich nicht nur ihren kolonialen Untertanen gegenüber verantworten müssen, sondern auch gegenüber dem französischen Volk, dem das Land unter den Füßen weggezogen wurde (auch wenn Macron nicht der Einzige ist, der daran schuld ist). Url

Als ich 1996 nach Monaco zog, stand Frankreich mehrere Jahre hintereinander an der Spitze der Länder mit der höchsten Lebensqualität (ich glaube, die Umfragen zur Lebensqualität wurden von Conde Nast oder einer ähnlichen Publikation durchgeführt). In den letzten 25 Jahren hat sich die Lebensqualität in Frankreich jedoch rapide verschlechtert. Wenn Frankreich überleben und wieder eine Führungsrolle in Europa übernehmen will, müssen sich die Eliten, die hinter Macron stehen, mit den Menschen versöhnen und ihnen entgegenkommen. Url

Im Hinblick auf seine koloniale Vergangenheit muss Frankreich zumindest eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einrichten, sich aufrichtig entschuldigen und seinen ehemaligen Kolonien helfen, sich zu entwickeln und als gleichberechtigte Handelspartner aufzutreten, anstatt einfach nur Gebiete zu besetzen, um sie ihrer Ressourcen zu berauben und auf kalte und unmenschliche Weise zu unterjochen. Url

Die Welt sollte in Erwägung ziehen, Frankreich eine helfende Hand zu reichen, denn mit dem gegenwärtigen Kampf bietet sich der Menschheit eine große Chance: das imperialistische Herrschaftssystem, das die unsäglichen Tragödien unserer kolonialen Vergangenheit verursacht hat, und seine mächtigsten Nutznießer, das anglo-amerikanische imperiale Establishment, zu besiegen. Wenn es ihnen gelingt, Frankreich zu zähmen und es zu ihrem Vasallen zu machen, werden sie noch stärker werden. Url

Wenn Frankreich sich durchsetzt und sich der Menschheit, den multipolaren Zusammenschlüssen und dem anderen Regierungsmodell anschließt, wird die imperiale Kabale einen vernichtenden Schlag erleiden. Ich weiß, wo 99,9 % von uns stehen, und ich für meinen Teil würde Emmanuel Macron gerne Ende dieses Monats in Südafrika sehen, wenn er einmal zuhören und sich ernsthaft um Partnerschaft und Versöhnung mit der Welt bemühen und Frankreichs Platz als gleichberechtigter Partner in einer neuen Gemeinschaft der Nationen sichern würde. Url


Autor: Alex Krainer Url

Am 04.07.23 erschienen auf: https://alexkrainer.substack.com/p/france-under-attack Url

Übersetzung: Causalis (Hervorhebungen übernommen) Url

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